Gleich in seinem Debüt praktiziert Gianfranco Rosi ganz wörtlich jenes vom Direct Cinema inspirierte, mitreissende Eintauchen in eine Umgebung, die seine Arbeit bis heute kennzeichnet. In Varanasi am Ganges folgt er den Linien des heiligen Flusses gemeinsam mit dem Bootsführer Gopal. Entlang des Ufers treibend entblösst Rosi eine geschlossene und sich doch in alle Richtungen hin öffnende Welt: mit wild schaukelnden Touristenbooten voller auf das Spektakel des Heiligtums gaffender Augen, im Wasser schwimmenden Leichen von Menschen, die nicht genug Geld für ein ordentliches hinduistisches Ritual hatten, spirituellen Bädern, spielenden Kindern und unzähligen Tieren in und um den Fluss. Es ist ein bizarres und wildes Bild dieses Ortes. Rosi fängt flüchtige Bilder und Töne ein, ohne sie besitzen zu wollen. Der Film hinterfragt den westlichen Blick auf diese Welt genauso wie die hinduistischen Rituale am Ganges selbst. Urteile fällt er dabei nicht. Stattdessen liefert er einen sinnlichen Eindruck einer Welt, in der alles gleichzeitig zu passieren scheint. Die Inder hätten ein verrücktes Herz, sagt Gopal einmal in Richtung der beständig surrenden Kamera. Es scheint, als würde Rosi genau dieses Herz filmen.
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Gianfranco Rosi