Ein Mädchen treibt in einem Nachen einen Strom hinab. Dabei beobachtet das Kind, was sich bald auf der Wasseroberfläche, bald am Ufer abspielt: nicht weniger als das ganze Leben eines prächtigen Insekts, welches für sie zum Inbegriff der gesamten Schöpfung wird. Man erlebt seine Paarungsrituale, darf erahnen, wie sich das neue Geschöpf entwickelt, wandelt, bis es schliesslich schlüpft. Eine Myriade davon stiebt eines sonnenlichtdurchfluteten Tages auf, doch nicht alle werden ihre ersten Stunden überstehen – wo ihre Zeit ohnehin so kurz bemessen ist im Vergleich mit etwa der Spanne, welche einem Menschen hienieden zugestanden wird im Schnitt.
Vita brevis (2014) ist ein Wunder von Film, dabei ein ausserordentliches Stück Handwerk: Thierry Knauff, Genie eines kühn alle Klassifizierungen verweigernden Kinos, musste so gut wie jedes Bild in einem anderen Tempo drehen, um in der Montage den Eindruck eines ebenmässigen Daseinsflusses herstellen zu können. Was nichts anderes ist als eine Widerspiegelung dessen, was man hier erfahren darf: wie nämlich in jedem Augenblick eine kaum benennbare Zahl an Erfahrungen, Wahrnehmungsweisen nebeneinander existieren.